Geschichte der Juden in Bingen
Auf der Erinnerungstafel an der ehemaligen Synagoge in der Rochusstraße ist zu lesen:
„Seit dem 12. Jh. bis zur Auswanderung und Deportation 1942 lebten Juden in Bingen. Erbaut 1905, zerstört in der Pogromnacht 9./10. November 1938.“
Die Zeit der Aufklärung im 18. Jahrhundert brachte mit den französischen Revolutionstruppen 1792 die bürgerliche Gleichstellung der Juden. Das Großherzogtum Hessen, zu dem Bingen seit 1816 gehörte, betrieb eine den Juden gegenüber emanzipationsfreundliche Politik und die jüdische Bevölkerung in Bingen wuchs weiter an. Überall in der Stadt siedelten sich die jüdischen Bürger an und wurden bald zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Sie gründeten die ersten Banken und wa-ren vor allem im Weinhandel tätig.
Ende des 19.Jh. Anfang des 20. Jh. war das Engagement der jüdischen Bürgerschaft nicht nur im wirtschaftlichen, sondern auch im gesellschaftlichen und kulturellen Leben der Stadt sehr groß. Um 1900 registrierten die beiden jüdischen Gemeinden – die starke reformorientierte „Israelitische Religionsgemeinde“ und die kleinere orthodoxe „Israelitische Kultusgesellschaft“ – zusammen 713 Angehörige, das waren 8% der Binger Einwohner. Die Synagoge in der Rheinstraße wurde zu klein und war baufällig. Deshalb wurde 1903-1905 eine neue Synagoge in der Rochusstraße 10 errichtet.
Mit dem sich jedoch zunehmenden ausbreitenden modernen Antisemitismus und der beginnenden Propaganda der Nationalsozialisten begann dieser höchste jüdische Bevölkerungsanteil rapide zu schwinden. Wer die Zeichen der Zeit richtig deutete verließ Deutschland. Mit der Machtergreifung der Nazis 1933, hatte schon ein Drittel der Binger Juden die Stadt und das Land verlassen. Die Synagoge wurde in der Pogromnacht 1938 zerstört. Im Jahr 1942 wohnten nur noch 152 jüdische Bürger in Bingen.
Unter den am 20. März 1942 mit dem ersten Massentransport aus Hessen nach Piaski-Lublin deportierten 1000 Juden waren 76 aus Bingen. Am 27. September wurden weitere 68 nach Theresienstadt verschleppt, am 30. September 6 in das sogenannte Generalgouvernement und am 10. Februar 1943 nochmals 2 nach Theresienstadt. Bis auf einen Binger jüdischen Bürger, wurden alle aus Bingen Deportierten in den Vernichtungslagern nachweislich ermordet oder sind seitdem verschollen.
Das seit dem Mittelalter in ihrer Kontinuität nie unterbrochene jüdische Gemeindeleben in Bingen war 1943 vollends ausgelöscht, die Synagoge geschändet und verbrannt.
115 Stolpersteine erinnern inzwischen im Binger Straßenpflaster vor ihrem letzten Wohnsitz an einzelne dieser Opfer.
Durch den Zuzug von Menschen jüdischen Glaubens aus Gebieten der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland entwickelte sich auch in Bingen wieder jüdisches Leben.
2008 gründete sich der Förderverein für jüdisches Leben TIFFTUFF.
„TIFTUF “ ist hebräisch und bedeutet „Tröpfeln“- Tröpfchen für Tröpfchen - Stück für Stück - soll eine jüdische Gemeinde wachsen, so wie Pflanzen in der Wüste durch Tröpfchenbewässerung wachsen.