Der 265 m lange, aber unterschiedlich breite seit 1570 bestehende jüdische Friedhof liegt weit oberhalb von Bingen in der Gemarkung „In den Hisseln“.
Da die Zahl der jüdischen Einwohner in Bingen in der Neuzeit stetig wuchs, wurden im Laufe der Zeit Veränderungen und Erweiterungen erforderlich, worauf auch die unregelmäßigen Umfangslinien hinweisen.
Da der älteste Friedhofsteil sehr ungleichmäßig belegt ist mit größeren unbelegten Flächen, vermutete Rabbiner Dr. Grünfeld (1905), dass dieser Friedhofsteil wenigstens einmal aufgeschüttet und aufs Neue benutzt worden ist. Der älteste heute noch lesbare Grabstein stammt aus dem Jahr 1602.
Im Jahr 1856 wurde das Friedhofsgelände westlich von Teil B (siehe Skizze) erweitert und im Jahr 1878 in diesem Teil eine Trauerhalle errichtet, die von der Straße aus zugänglich war, wo sich der heutige Eingang befindet.
Mit dem Erwerb des neuen Friedhofsteils begann man die Gräber zeilenweise von Osten nach Westen anzulegen, welcher dann im Jahr 1900 bis auf die Höhe der Trauerhalle gänzlich mit Gräbern aufgefüllt war.
Mit Einführung der Friedhofsordnung im Jahr 1875 wurden die Gräber westlich der Trauerhalle (westlich von Teil C) systematisch in Reihen angelegt. Viele dieser Gräber sind Familiengräber.
Mit Spaltung der jüdischen Gemeinde in eine liberale und orthodoxe Gemeinde im Jahr 1876 erhielt die orthodoxe Gemeinde an der Süd-West-Ecke (Teil E) einen eigenen Friedhofsteil, der durch eine Mauer getrennt war. Ab 1925 kam es wieder zu einer Annäherung der beiden Religionsgemeinschaften. Zu dieser Zeit war der Friedhofsteil der liberalen Juden fast gänzlich belegt (Teil D).
Die Mauer wurde beseitigt und es erfolgte eine Erweiterung des Friedhofs nördlich und abgestuft unterhalb des orthodoxen Friedhofsteils (Teil F). In diesem Neueren Bereich erfolgten dann ab 1930 die Bestattungen der orthodoxen und liberalen Juden. Unterhalb dieses Friedhofsteils gibt es noch einen weiteren kaum belegten Friedhofsteil. Es ist der Neueste Friedhofsbereich, wo heutzutage Bestattungen von Personen jüdischen Glaubens stattfinden.
Friedhöfe und das ganze Bestattungswesen mit seinen vielen Riten und Bräuchen spielen im Judentum eine wichtige Rolle. Darum ermöglicht der Besuch eines jüdischen Friedhofs Einblicke in die Kultur und religiösen Auffassungen der Juden.
Ein hervorragendes Beispiel hierfür ist der große, 450 Jahre alte jüdische Friedhof zu Bingen. Er ist einer der wenigen, der trotz wiederholter Schändungen, aber dennoch den von den Nationalsozialisten betriebenen systematischen Verwüstungen entgangen ist.
Ein Besuch, der sich lohnt.
Man steht auf einer Stätte des Todes zwischen alten verwitterten Grabsteinen und verwilderten Bäumen, die eine furchterregende aber auch tiefe Ruhe ausstrahlen, während man gleichzeitig einen grandiosen Blick auf Bingen und das Rheintal genießt. Heute ist sie eine Versöhnung an steinernen Zeugen.
Beim Betreten eines jüdischen Friedhofs hat der Mann - auch der Nichtjude - sein Haupt mit einer Kippa (Käppchen) oder einer anderen Kopfbedeckung zu bedecken wie beim Besuch einer Synagoge.