Bingen - Pos. 1

Stolpersteine für Emanuel und Alice Rosenthal geb. Kohlmann in der Schmittstraße 9

Text: Beate Goetz

Mit diesen beiden Steinen nahm das Stolperstein-Projekt Gunter Demnigs auch in Bingen seinen Anfang. Im April 2004 wandte sich Dr. Yeal Neuman aus Tucson, Arizona in USA an Gunter Demnig mit der Bitte, für ihre Großeltern Emanuel und Alice Rosenthal zwei Stolpersteine zu verlegen in der Stadt, in der sie gelebt hatten und von wo aus sie am 20. März 1942 in den sicheren Tod geschickt wurden. Sie bat wegen des hohen Alters und der labilen Gesundheit ihrer Mutter um schnelle Bearbeitung ihres Antrags. Trotzdem vergingen noch 10 Monate, bis der Antrag die städtischen Gremien passiert hatte und diese ihre Zustimmung erteilten, so dass die Steine verlegt werden konnten.

Emanuel Rosenthal wurde am 1. Mai 1888 in Wenings in Hessen geboren. Seine Ehefrau Alice kam am 6. Juli 1893 als Tochter von Sigmund und Sabine Kohlmann geb. Hirsch in Bingen zur Welt. Die Familie war im Weinhandel tätig und hatte ein Manufakturwarengeschäft. Sie gehörte der orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft an.

Emanuel Rosenthal war Kriegsteilnehmer im Ersten Weltkrieg; er kämpfte an der Westfront und trug eine schwere Schulterverletzung davon. Man verlieh ihm das Verwundetenabzeichen und das Ehrenkreuz für Frontkämpfer. Zwei seiner Brüder fielen an der Westfront.

Das Ehepaar hatte zwei Töchter: Gretel (Jg. 1919) und Lotte (Jg. 1922).

Gretel machte in Frankfurt eine Ausbildung zur Krankenschwester, was ihr 1939 zu einem Visum für England verhalf. Über Palästina ging sie später nach USA, wo sie jung einem Krebsleiden erlag.

Schwester Lotte wanderte 1938 nach Palästina aus, von dort ging auch sie nach Nordamerika, wo sie als Lotte Boritzer eine Familie gründete. Sie ist die Mutter von Dr. Yael Neuman, die die Steine für ihre Großeltern beantragt und finanziert hat.

Nachdem die Stolpersteine für ihre Eltern in Bingen verlegt waren, schrieb Lotte Boritzer eine Reportage in der 'Arizona Jewish Post' über dieses Ereignis und einige Erinnerungen an ihr Leben in Bingen. Ich habe einen Teil davon ins Deutsche übertragen und zitiere:

'Am 9. November 1938, der Kristallnacht, wurde mein Vater in Buchenwald inhaftiert. Er wurde dort sechs Wochen lang festgehalten. Die jüdische Gemeinde sammelte Geld für seine Freilassung. Kurz danach wurde meine Familie gezwungen, das eigene Haus zu verlassen und zog zur Familie des Rabbiners. Obwohl einige der Rosenthals Deutschland verließen und nach Israel oder die USA gingen, weigerte sich mein Vater, sein geliebtes Deutschland zu verlassen, da er nicht glauben wollte, bis es zu spät war, dass sein Land ihn verraten hatte. Als ich 1938 Abschied nahm, um nach Palästina zu gehen, bat er mich, zu bleiben:'

Lotte Boritzer beendete ihren Artikel mit den Worten:

'Am selben Tag, als in Bingen die Stolpersteine für meine Eltern verlegt wurden, feierte ich in Los Angeles mit meiner Familie die brit milah, die Beschneidung meines 4. Urenkels. Obwohl die Nazis meine Familie ermordeten und versuchten, alle Juden zu eliminieren, leben wir immer noch ... Gunter Demnig hofft, dass durch sein Werk die Erinnerung an die Ermordeten lebendig erhalten wird.'