Bingen - Pos. 31

Stolpersteine für Julius Stern, Sema geb. Mayer und Fritz Stern in der Rheinstraße 10

Text: Beate Goetz

Der Metzger Julius Stern kam am 30. Juli 1883 als Sohn des Metzgermeisters Moses Stern und seiner Ehefrau Rebekka geborene Hecht in Waldalgesheim zur Welt. Schon am 19. Oktober 1904 zog er nach Bingen um, wo er am 13. September 1913 mit Selma Mayer, *20. Juli 1888 in Werlau Kreis St. Goar, eine Familie gründete. Seine Braut war die Tochter des Viehhändlers Wilhelm Mayer und seiner Frau Bertha geborene Harf. Zwei Söhne wurden geboren: Fritz am 1. Juli 1914, Heinz am 31. Dezember 1919; beide kamen in Bingen zur Welt.

Die Familie wohnte und arbeitete in der Rheinstraße 10, wo schon 1872 der Jude Salomon Lorch und um 1900 Heinrich Lorch eine Metzgerei betrieben hatten. Hinter dem dreistöckigen Wohnhaus gab es ein Schlachthaus mit Wohnung und eine Wurstküche mit Stall und darüberliegender Wohnung; der Hof war durch ein Glasdach geschützt.

Sohn Fritz meldete sich am 19. April 1929 nach Frankfurt ab, wo er eine kaufmännische Lehre absolvierte. Vom 25. Juni bis zum 13. September 1935 war er in Offenbach in der Waldstraße 32 gemeldet. Von dort kam er nach Bingen ins Elternhaus zurück und emigrierte am 4. Dezember 1936 nach New York. Dann verliert sich seine Spur; auch seine Familie hörte nie wieder von ihm, wie jüdische Zeitzeugen übereinstimmend berichteten.

Hilda Berger geborene Kahn, eine ehemalige Bingerin, die nach ihrer Auswanderung in New York lebte, glaubte sich erinnern zu können, so 2002 in einem Brief an den Arbeitskreis Jüdisches Bingen, dass Fritz Stern in Amerika einem Mordanschlag zum Opfer fiel. Ein Nachweis konnte bislang nicht erbracht werden.

Heinz Stern war Metzgerlehrling. Am 21. November 1935 meldete er sich nach Rüdnitz Kreis Nieder-Barnim in Brandenburg zur Hachschara ab, um sich im dortigen Lager auf die Jugendalija nach Palästina vorzubereiten. Am 4. Februar 1936 kehrte er zu den Eltern zurück und emigrierte am 27. März 1936 nach Palästina, wo er zunächst im Kibbuz Ein Charod lebte und arbeitete. Dort nahm er den Vornamen Chanan an. Später wohnte er mit seiner Familie in Tel Aviv, zuletzt in Kiron-Rimon, wo er Anfang November 2005 nach schwerer Krankheit starb.

Julius Stern war zum Wehrdienst im Ersten Weltkrieg eingezogen, wurde aber wegen Krankheit entlassen, wie er in seiner Familienliste vom März 1940 schrieb. Nach seinen Vermögens- und Einkommensverhältnissen befragt, vermerkte er, er besitze ein „Metzgerei-Haus“ in der Rheinstraße 10 und bekomme Miete für seine vermietete Metzgerei.

Zu seinen Geschwistern zählte August Stern, ebenfalls Metzger in Bingen, der auch mit seiner Familie deportiert wurde. Schwester Isabella Kaufmann lebte im März 1940 in Aachen und wurde im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Schwester Antonia Müller lebte in Windesheim. Rosa Stern war 1938 emigriert, Max Stern lebte in Chicago.

Selma Sterns Bruder Julius Mayer wohnte 1940 noch in Werlau; auch er wurde ein Opfer des Holocaust, ebenso Max Mayer. Josef Mayer war 1939 ausgewandert, auch Schwester Karoline Mayer emigrierte nach Nordamerika. Zwei Brüder, Gustav und Siegmund, waren im Ersten Weltkrieg gefallen. Beide Elternpaare waren 1940 schon verstorben.

Julius und Selma Stern hatten die Wartenummer 22042 für die USA und eine Anmeldung für Palästina. Am 27. September 1942 wurden die Eheleute mit den Nummern 923 und 924 nach Theresienstadt deportiert, was im Nazijargon auf der Meldekarte „Übersiedlung“ hieß. Am 29. Januar 1943 erfolgte der Weitertransport nach Auschwitz, wo das Paar ermordet wurde.

Das Anwesen in der Rheinstraße 10 fiel 1943 an die Finanzverwaltung des Deutschen Reiches und wurde 1955 an Chanan Heinz Stern, der damals in Tel Aviv lebte, restituiert. Dieser verkaufte 1958 Haus- und Grundbesitz an die Eheleute Rudolf Weiß, die wieder eine Metzgerei betrieben, bis das Anwesen in den 70er Jahren an die heutigen Besitzer überging.

Die Stolpersteine für Julius und Selma Stern wurden durch „BUZ, Bingen Unternehmen Zukunft e.V.“ gesponsert. Der Vorstand ist froh, mit den Steinen an jüdische Gewerbetreibende erinnern zu können, die vielleicht sogar in heutiger, veränderter Situation Mitglied im Verein wären. Der Stein für Fritz Stern wurde durch ein Binger Ehepaar finanziert.