Bingen - Pos. 36

Stolperstein für Mathilde Amelie durlacher in der Kapuzinerstraße 4

Text Beate Goetz

Jüdisches Bingen Mathilde Amelie Durlacher aus der Kapuzinerstraße wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert / Letzte Jahre in der Schweiz

BINGEN. Mathilde Amelie Durlacher wurde am 13. März 1877 in Karlsruhe geboren. Ihre Eltern waren der Kaufmann Julius Durlacher und seine Frau Louise geborene Schweitzer. Später wohnten sie in Mühringen bei Horb am Neckar und waren 1940 schon verstorben, wie die Tochter in ihrem Fragebogen, den alle jüdischen Haushaltsvorstände im März 1940 ausfüllen mussten, angab. Wann die ledige Amelie Durlacher von Mühringen nach Bingen kam, ist nicht bekannt. Fest steht, dass sie in der Kapuzinerstraße 4 bei ihrer Schwester Auguste lebte, die mit dem Kaufmann Max Rosenthal verheiratet war, der mit Manufakturwaren handelte. Er gehörte der liberalen „Israelitischen Religionsgemeinde" an, wo er das Amt des Gemeinderechners inne hatte.

Der Neffe starb "fürs Vaterland"

Max Rosenthal, der am 9. Oktober 1921 mit 54 Jahren starb, stammte aus Östrich. In dem opulenten Familiengrab auf dem Binger jüdischen Friedhof ist auch der gemeinsame Sohn Siegfried bestattet. In dem ihm gewidmeten Inschriftenfeld ist zu lesen: „Hier ruht der Student der Medizin Siegfried Rosenthal Sanitätsunteroffizier im 4. Garderegiment zu Fuß Geb. am 2. Jan. 1894 zu Bingen, gest. am 19. Sept. 1915 zu Biala = Russland. Unser einziges Kind starb fürs Vaterland." Ein Äskulapstab weist auf den Mediziner hin, ein Helm mit Eichenlaubkranz auf den Soldaten. Auguste Rosenthal geborene Durlacher starb am 22. Juli 1941.

Die drei Geschwister der Durlacher-Mädchen konnten rechtzeitig fliehen. Sophie Hirsch geborene Durlacher verließ 1935 Speyer und emigrierte nach Los Angeles. Hermann Durlacher gelang 1937 die Flucht von Hamburg nach Sao Paulo, Brasilien. Lina Herz geborene Durlacher lebte im März 1940 noch in Speyer. Aus der Todesanzeige für ihre Schwester Sophie Hirsch, die 1943 im „Aufbau" erschien, geht hervor, dass Lina und Max Herz in New York City lebten. (Quelle: Dr. Harald Müller, Berlin).

In ihrem Fragebogen schrieb Amelie Durlacher bei der Frage nach ihren Auswanderungsvorbereitungen, sie habe die Wartenummer 49478 beim Amerikanischen Konsulat in Stuttgart und sei zur Auswanderung nach Palästina angemeldet. Auch ihre Schwester Auguste Rosenthal wollte nach Palästina emigrieren. Das Schicksal wollte es anders. Auguste Rosenthal starb noch vor den Binger Deportationen, Amelie Durlacher wurde am 27. September 1942 mit der Nummer 871 in das Ghetto Theresienstadt in der CSSR deportiert. Bis vor drei Jahren ging man in Bingen davon aus, sie habe den Holocaust nicht überlebt.

2014 meldete sich Dr. Harald Möller von der FU Berlin beim Arbeitskreis Jüdisches Bingen und bat um Informationen zu Amelie Durlacher, auf die er bei seinen Recherchen gestoßen sei. Er arbeite zur Verfolgungs- und Restitutionsge-schichte der jüdischen Familien Wertheimer und Schweitzer iner NS- sowie in der Nachkriegszeit. Die beiden Unternehmerfamilien betrieben ab Mitte der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts in Frankenthal gemeinsam das damals größte Kaufhaus der Stadt. Die Mutter der Durlacher-Schwestern war eine geborene Schweitzer.

Neue Informationen dank eines Anwaltsschreibens

Den entscheidenden Hinweis darauf, dass Amelie Durlacher den Holocaust überlebt hatte und befreit wurde, brachte ein Anwaltsschreiben von 1949, das Harald Möller vom Landesarchiv Speyer bekam und mit dem ein Anwalt Amelie Durlacher in einem Restitutionsverfahren vertrat. Aus diesem Schreiben geht hervor, dass die Klägerin damals im jüdischen Heim „La Charmille" in Riehen in der Schweiz lebte.

Bei der Vorbereitung der Stolpersteinverlegung für Amelie Durlacher nahm man in Bingen diese Spur auf und fragte bei der Stadt Riehen nach weiteren Informationen. Demnach kam Amelie Durlacher 1948 von Zürich nach Riehen, wo sie sechs Jahre lebte. Von Dezember 1954 bis Januar 1955 zog sie um in ein Alten- und Pflegeheim nach Basel, kehrte aber wieder nach „La Charmille" in Riehen zurück, um im Februar 1956 endgültig nach Basel umzuziehen. Das Einwohneramt in Basel teilte auf Anfrage mit, dass Amelie Durlacher am 20. Dezember 1956 in Basel gestorben ist. Ihre letzte Meldeadresse war das Pflegeheim St. Alban in der Hardstraße 70.

Der Stolperstein für Amelie Durlacher wird von einer ehemaligen Bingerin gestiftet.