Bingen - Pos. 19

Stolpersteine für Ernst und Selma Gross geb. Simon und Pauline Simon geb. Hirsch

Text: Beate Goetz

Der Weinhändler Ernst Gross, am 22. Februar 1880 in Bingen geboren, war der Sohn von Moses (1847-1910) und Johanna Gross, geborene Frank (1854-1932). Großvater Wolfgang Gross (1804-81) stammte aus Gau-Bickelheim oder Wallertheim, was nie ganz geklärt werden konnte, wie Mathilde Mayer, geborene Gross, in ihrem Buch 'Die Neue und die Alte Welt' schrieb. Auch Wolfgang Gross war Weinhändler.

Um 1874/75 zog das Ehepaar nach Bingen und übergab das Geschäft an die drei Söhne Bernhard, Moses und Julius. Fortan nannte sich das Unternehmen 'W. Gross Söhne'. Heinrich und Hermann Gross, zwei weitere Söhne, gründeten eine Weinhandlung in Mainz. 1935 konnte die Binger Weingroßhandlung, die in der Gaustraße 11 ansässig war, ihr 100-jähriges Firmenbestehen feiern.

Ernst Gross diente im Ersten Weltkrieg beim Landsturm, war Mitglied der Deutschen Staatspartei und gehörte dem Synagogenverein an. Ehefrau Selma kam am 7. März 1890 als Tochter von Julius Simon I und Pauline, geborene Hirsch, in Bingen zur Welt. Aus der Ehe ging Sohn Martin hervor, der am 30. Oktober 1913 in Bingen geboren wurde. Nach dem Abitur begann er ein Studium in der Schweiz. Als seine Eltern ihm keine Devisen mehr schicken durften, drohte ihm die Abschiebung nach Hitler-Deutschland.

Ein protestantischer Pfarrer kam ihm zu Hilfe und nahm ihn in seine Obhut. Martin Gross konvertierte und studierte evangelische Theologie; er wurde Pfarrer und gründete eine Familie. Kurz nach seinem 95. Geburtstag starb Martin Gross am 5. Januar 2009 in Bern. Er hinterließ einen Sohn namens Andreas, die Töchter Claudia und Annemarie, Enkel und Urenkel. Die Nachkommen wollen mit den Stolpersteinen ihre Großeltern Ernst und Selma Gross ehren, die am 20. März 1942 nach Piaski-Lublin deportiert wurden. In einem seiner ersten Briefe an den Arbeitskreis schrieb Andreas Gross: 'Wir wissen leider nichts über den Tod von Ernst und Selma. Der letzte Kontakt mit meinem Vater, ein bekritzelter Zettel, stammte aus Piaski beziehungsweise aus dieser Gegend. Deshalb ist es für uns Nachkommen doch auch ein Trost, dass Ernst und Selma einen Ort haben, der an sie erinnert.' Miriam Bachan, geborene Marlies Brück, eine entfernte Verwandte und ehemalige Bewohnerin der Gaustraße, schrieb 2007: 'Ernst kam bei einem Kampf mit einem anderen Gefangenen um ein Stückchen Brot um. Ich erfuhr das von einem Verwandten von Selma, der Theresienstadt überlebte.' Die Antwort auf eine diesbezügliche Anfrage beim Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen konnte ihre Information nicht bestätigen. Das Schicksal von Ernst und Selma Gross bleibt ungeklärt. Auch Pauline Simon lebte bei Tochter und Schwiegersohn in der Gaustraße 11. Sie wurde am 11. Mai 1866 in Acholshausen bei Würzburg geboren. Ihre Eltern waren Salomon und Marianne Hirsch; sie starben in Acholshausen. Auch Bruder Wilhelm Hirsch war 1940 schon tot. Ehemann Julius Simon I. kam am 26. September 1852 in Gensingen zur Welt, er starb vor März 1940. Pauline Simon wurde am 27. September 1942 nach Theresienstadt verschleppt. Sie starb dort unter ungeklärten Umständen am 3. November kurz nach der Deportation. Auch ihren Stein, der in der Gaustraße 11 verlegt wurde, finanzierte die Familie.

Ernst und Selma Gross